
Britta's Traum: Souverän und mit einer Prise Humor vor Gruppen sprechen. Die Realität sieht anders aus: Zittern, Versprecher und Angstschweiß. Sie zweifelt an sich: Warum macht ihr das Angst? Es besteht doch keine objektive Gefahr für Leib und Leben.
Sie will der Sache auf den Grund gehen und endlich verstehen, woher ihre Redeangst kommt.
Britta blickt zurück und erinnert sich an drei Dinge aus ihrer Kindheit, wenn es um Angst geht: Bereits als Kind war sie sehr ängstlich. In neuen Situationen zog sie sich eher zurück. Bei fremden Personen war sie schüchterner und vorsichtiger als ihre Geschwister. Genauso wie ihre Oma. Vielleicht hat sie eine entsprechende Verletzlichkeit geerbt?
Und sie denkt an ihre große Schwester Rita. Die hatte übermäßige Angst davor, im Mittelpunkt zu stehen. Deswegen verzichtete Rita sogar darauf, ihren Geburtstag zu feiern. Möglicherweise hat Britta etwas von ihrer sozialen Angst übernommen?
Manchmal hatte sie als Kind Angst, verlassen zu werden. Sie wollte sich ihren Eltern dann ganz nah fühlen. Daher blieb sie lieber an Papas Seite anstatt mit den anderen Kindern mitzulaufen und zu spielen. Vielleicht hat so ihr Vertrauen in sich selbst gelitten? Vielleicht spürt sie in schwierigen Situationen diesen alten Konflikt zwischen Autonomie und Verbundenheit?
Heute gehen Britta bei einer Präsentation vor Anderen schlimme Gedanken durch den Kopf: „Ich werde bei meiner Präsentation den roten Faden verlieren. Ich werde ein knallrotes Gesicht bekommen und mich vor allen blamieren.“
Auch an ihre Sportlehrerin muss sie denken: "Wir sind stark wie eine deutsche Eiche." Das erhöht den Druck auf sie, keine Angst zu empfinden. Sie verdrängt dieses unangenehme Gefühl. Und verzichtet darauf, darüber zu sprechen und sich Hilfe zu holen. Aber das soll sich ab jetzt ändern!
Spoiler vorweg: Es ist komplex. Es gibt für Angst nicht eine einzige Ursache, sondern drei.
Ursache 1 Die Gene - Angst ist angeboren.
Tatsächlich spielen unsere Gene eine wichtige Rolle bei der Entstehung von Angst. Sie statten uns mit der Fähigkeit aus, Angst zu empfinden. Von Geburt an neigen wir zu unterschiedlich viel Angst: Rund jedes fünfte Baby erschrickt stark auf laute Geräusche oder fremde Personen, während andere Säuglinge keine oder unterschiedlich viel Angst zeigen.
Angst liegt uns im Blut
Auch Zwillingsstudien belegen eine genetische Veranlagung. Der Einfluss der Gene variiert je nach Studie. Manche sprechen von 30%, andere von bis zu 70%. Unabhängig vom genauen Erbfaktor haben Menschen, deren Eltern bereits ein Angst-Thema hatten, ein erhöhtes Risiko, selbst übermäßige Angst zu entwickeln.
Dabei gibt es nicht ein einzelnes Angst-Gen. Eine Vielzahl von Genen sind für die angeborene Ängstlichkeit verantwortlich. Sie bewirken eine Veränderung in der Funktionsweise des Gehirns.
Die Tendenz, im Babyalter viel Angst zu spüren, setzt sich im späteren Leben fort. Dennoch lässt sich diese vererbte Ängstlichkeit lebenslang durch Lernprozesse verändern. Dabei kommt es auf weitere Faktoren an.
Ursache 2 Die Psychologie - Angst ist erlernt.
Ängste können nicht nur vererbt, sondern auch erlernt werden. Sie können übrigens auch wieder verlernt werden. Einerseits gehören Ängste zur normalen Entwicklung dazu, wie zum Beispiel die Angst vor der Dunkelheit. Die Mehrzahl davon verliert sich im weiteren Verlauf der Entwicklung wieder.
Lernen aus eigener Erfahrung
Als Folge eines Autounfalls entwickeln viele Menschen Angst vorm Autofahren. Nach einem Wohnungseinbruch leiden viele unter Ängsten und fühlen sich in ihrer Wohnung nicht mehr sicher. In beiden Beispielen wurde aus einem zuerst positiven oder neutralen Reiz - Auto, Wohnung - ein Angstauslöser. Wir lernen eine Verbindung zwischen einer Situation und unserer Angstreaktion. Wir lernen, davor auch zukünftig Angst zu haben.
Manchmal führen solche Lernerfahrungen aber auch dazu, dass eine Situation als gefährlich bewertet wird, obwohl sie es objektiv nicht ist. Britta erinnert sich an ihren Cousin, der gerne Fernreisen unternommen hat, bis er während eines Flugs starke Turbulenzen an Bord erlebte. Beim nächsten Flug konnte er an nichts anderes denken als an einen mögliche Flugzeugabsturz. In diesem Moment überschätzte er das Ausmaß der Gefahr. Und er wollte Kontrolle haben, wo er keine hat. Er entwickelte eine Flugangst. Und vermied daraufhin zu fliegen.
Die vorgelebte Angst
Wenn wir andere beobachten, können wir nicht nur deren Verhaltensweisen lernen, sondern auch deren Gefühle. Beobachten Kinder ihre Eltern, die ängstlich auf Spinnen reagieren, übernehmen sie die Spinnenangst oft „am Modell“. Das Imitationslernen funktioniert sogar im Kino. So kann ein Film über einen Flugzeugabsturz zu Flugangst beitragen.
Denkfehler
Nicht die Spinne selbst, sondern wie wir über sie denken, löst Angst aus. Gedanken sind wie eine Brücke zwischen einem Ereignis und der emotionalen Reaktion darauf. Dabei unterscheidet unser Gehirn nicht, ob wir uns etwas vorstellen oder oder ob es real passiert. Beim Katastrophendenken wird das Schlimmste erwartet. "Ich werde sicher scheitern." oder "Es gibt keinen Ausweg, wenn das nicht klappt." Diese Neigung führt dazu, eine alltägliche Situation als bedrohlicher einzuschätzen als sie ist. Durch das Katastrophieren überschätzen wir das mögliche Risiko. Das verstärkt bestehnde Ängste. Besonders angstförderlich ist dabei, wenn wir darüber nachdenkt, was andere über uns denken könnten.
Auch Schwarz-Weiß-Denken bildet die Realität falsch ab. Wenn jemand in schwarz/weiß denkt, zieht er*sie nur zwei Extrem-Kategorien in Erwägung: Erfolg oder Scheitern, gut oder böse, positiv oder negativ. "Wenn ich dieses Mal versage, werde ich es nie wieder zu etwas bringen." Alles Graue dazwischen wird ignoriert. Solche Gedanken erzeugen einen starken Leistungsdruck und fördern Versagensängste.
Ungünstige Erziehung
Der Erziehungsstil beeinflusst stark, wie ein Kind auf sich und seine Umwelt blickt. In einem übertrieben strengen Elternhaus werden Kinder seltener ermutigt, unbekannte Situationen aufzusuchen und sich auszuprobieren. Wollen die Kinder die Welt entdecken, verhindern oder verbieten ihre Eltern diese Versuche. Dadurch können die Kinder keinen gesunden Umgang mit dem Angstgefühl entwickeln.
Einen ähnlichen Effekt kann eine überbehütend-beschützende Erziehung haben. Helikopter-Eltern wollen ihr Kind vor allen Gefahren beschützen. Es hat dann nur selten die Möglichkeit, angsteinflößende Situationen zu erleben, durchzustehen und aufkommende Ängste zu erobern. Das Kind erwirbt wenig eigene Fähigkeiten. Auch sein Selbstwertgefühl und Vertrauen in sich selbst leidet. Gleichzeitig kann es zu der verzerrten Überzeugung kommen, dass die Welt "ein gefährlicher Ort ist" oder "dass ich alles perfekt machen muss, um anerkannt zu werden".
Belastende Erlebnisse in der Kindheit
Wer bereits als Kind stark angstauslösende Erfahrungen macht, kann später eher unter Ängsten leiden. Zu traumatischen Erlebnissen in der Kindheit zählen z.B. Gewalterfahrungen, der Verlust eines Elternteils, Vernachlässigung oder eine schwere Krankheit. Auch eine schmerzhafte Trennung kann zum späteren Angsterleben beitragen. Das kann beispielsweise die Trennung der Eltern sein.
Diese Ereignisse können wie ein Schock wirken und ein hohes Erregungsniveau im Körper auslösen. Betroffene Kinder erleben sich in der Situation oft hilflos und abhängig. Wird ein solch traumatisches Erlebnis nicht angemessen verarbeitet, verbleibt die Anspannung im Körper. Es brodelt praktisch innerlich weiter. Dies kann zu einer übermäßigen Angst vor möglichen Bedrohungen beitragen. In vielen Fällen ist es auch die Angst, einen geliebten Menschen zu verlieren.
Innere Konflikte
Britta hatte als Kind zwei innere Ziele, die sich widersprachen: Sie suchte einerseits Schutz und Nähe bei ihrem Vater und wollte andererseits selbstbestimmt handeln. Aus Angst vor Ablehnung durch ihren Vater unterdrückte sie ihren Wunsch nach Autonomie.
Zugehörigkeit und Autonomie gehören zu unseren Grundbedürfnissen. Beide müssen angemessen erfüllt werden. Insbesondere - aber nicht nur - in der Kindheit. Wird ein Bedürfnis zugunsten des anderen dauerhaft unterdrückt, kann daraus eine Angst resultieren. Und die Überzeugung, dass man nur dann akzeptiert wird, wenn man sich anpasst. Die tiefer liegende Angst vor dem Alleinsein ist uns dann gar nicht unbedingt bewusst. Dennoch kann sich dieses unangenehme Gefühl in Krisen wieder zeigen.
Ursache 3 Das Umfeld - Angst braucht Kontext.
Kultur
Der Blick der Gesellschaft auf das Gefühl selbst beeinflusst das Angst-Erleben. Wird Angst gesellschaftlich akzeptiert oder eher abgelehnt? Unsere gesellschaftlichen Strukturen tragen dazu bei, dass Angst stigmatisiert wird. In einer Gesellschaft, in der Leistung zählt und Versagensangst weit verbreitet ist, erscheint Verletzlichkeit als Gefahr.
Gesellschaftliche Überzeugungen wie "Nur die Schwachen haben Angst" oder Geschlechterrollen beeinflussen, ob bzw. wie schnell sich jemand bei Angst Hilfe holt. Angst wird bei Frauen eher akzeptiert als bei Männern.
Krisen & Stressbelastungen
Unsere Lebensbedingungen können zu Ängsten führen. Eine kritische Wohnsituation, der fehlende Arbeitsplatz oder instabile Finanzen zum Beispiel. Wer kurzfristig seinen Job und sein Einkommen verliert, erlebt sich in dieser Situation oft hilflos. Das kann zu einer übermäßigen, hemmenden Angst vor weiterem Kontrollverlust führen.
Freunde und Verwandte unterstützen uns in schwierigen Momenten, geben Halt und machen Mut. Fällt diese Unterstützung weg, z.B. durch einen Umzug oder eine Scheidung, können wir uns überfordert, schutzlos und isoliert fühlen. Solche kritischen Lebensereignisse können zu Angst führen - Angst vor weiteren Krisen zum Beispiel.
Nicht nur Krisen sondern auch langanhaltende Stressbelastungen fördern Ängste. Dauerhafte Beziehungsprobleme oder hohe Anforderungen im Beruf können zu einer ständig vorhandenen ängstlichen Angespanntheit führen. Dieser Dauerstress steigert das Risiko, übermäßig starke Angst zu bekommen. Manche Menschen brauchen dann professionelle Hilfe, um wieder in eine ausgeglichene Gefühlslage zurückzufinden.
Britta's Fazit: Ihre Redeangst kommt nicht von irgendwo. Sie kann vererbt, im Laufe ihres Lebens gelernt und durch ihr Umfeld verstärkt worden sein. Sich ihre Vergangenheit anzuschauen, hilft Britta, ihren bisherigen Weg zu würdigen. So versteht sie besser, was sie heute braucht.
Jetzt will sie ihren Traum verwirklichen. Sie macht sich auf die Suche nach Strategien, mit ihrer Angst anders umzugehen. Davon später mehr.
Quellen:
Luerweg, F. (2024, 31.Mai). Angststörung. Psychologie Heute. Online abrufbar unter:
Deutsche Angst-Hilfe e.V.. Wie Angststörungen entstehen. Online abrufbar unter: https://www.angstselbsthilfe.de/wissen/ursachen/entstehung-angststoerung/psychologische-biologische-und-soziale-faktoren/
Domschke, K. (2023, 13.Juni). Was tun bei staken Ängsten? (Video). YouTube. Online abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=_iN8J8ZiUAg
Windscheid, L. (20219). Das Baby und das Monster. Über die guten Seiten der Angst. In: Besser fühlen. Rowohlt: Hamburg. S.16-38.
Kommentare